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Deutschland befindet sich in der Alarmstufe des Gasnotfallplans. Bisher werden nur marktbasierte Mechanismen eingesetzt, um die Gasknappheit zu beheben. Sobald jedoch die Gas-Notfallstufe erreicht ist, kann die Bundesnetzagentur („BNetzA“) als sog. Bundeslastverteiler auch härtere Maßnahmen anordnen. V.a. kann sie die Gasversorgung für bestimmte Verbraucher abschalten. Ein Überblick über die Regulierung auf deutscher und EU-Ebene.

Die EU-Kommission verabschiedete am 26. Juli 2022 eine Gasnachfrageverordnung, die den Mitgliedstaaten Kriterien vorschlägt, wie sie eine Abschaltreihenfolge festlegen sollten. Neben Haushaltskunden und kritischer Infrastruktur priorisiert die Verordnung auch bestimmte Branchen und Industrien. Die Mitgliedstaaten haben bis Ende Oktober 2022 Zeit, die Leitlinien umzusetzen.

Auf politischer Ebene wird in Zusammenarbeit mit der BNetzA bereits intensiv darüber diskutiert, in welcher Reihenfolge die Gasversorgung von Unternehmen eingeschränkt oder gar abgeschaltet werden soll. Es geht darum, welche Kriterien als Basis für die Entscheidung der BNetzA gelten und welche Unternehmen somit zu priorisieren sind.

Deutsche Vorschriften und Vorgehen bei Gasknappheit

Wie sehen die deutschen Regelungen bei Gasverknappung aus?

Gas-Notfallplan

Der Gasnotfallplan der Bundesregierung vom September 2019 basiert auf der EU-Verordnung 2017/1938 („Versorgungssicherheitsverordnung„) über Maßnahmen, um die Gasversorgungssicherheit sicherzustellen. Er sieht Maßnahmen vor, die Gasversorger, Netzbetreiber und Bundesregierung bei einem Gasversorgungsengpass ergreifen müssen. Der Notfallplan Gas fasst die marktwirtschaftlichen und hoheitlichen Maßnahmen zusammen, die das Energiesicherungsgesetz („EnSiG“), das Energiewirtschaftsgesetz („EnWG“) und die Gassicherungsverordnung („GasSV“) gesetzlich regeln.

Der Gasnotfallplan definiert drei Notfallstufen bei einer Gasversorgungslücke. Diese Stufen legt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz („BMWK„) oder – je nach Stufe – die Bundesregierung als Rechtsverordnung fest. Die BNetzA veröffentlicht einen täglichen Lagebericht (auch in englischer Sprache), der Informationen über die Situation der Gasversorgung und -speicherung sowie das Preisniveau enthält.

Gasnotfallstufen und ihre Rechtsfolgen

Frühwarnstufe

Anforderungen an die Festlegung der Frühwarnstufe

Die Voraussetzungen für die Festlegung der Frühwarnstufe sind:

  • Ausfall/Reduzierung der Gasflüsse an wichtigen EinspeisepunktenKontinuierlich niedrige Lagerbestände
  • Versagen wichtiger Versorgungsquellen
  • Technischer Ausfall wichtiger Infrastrukturen (z. B. Pipelines und/oder Verdichterstationen) mit der Möglichkeit einer alternativen Versorgung
  • Extreme Wetterbedingungen i.V.m.hoher Nachfrage
  • Risiko einer langfristigen Unterversorgung
  • Erklärung der Krisenstufen in den Nachbarländern

Die Frühwarnstufe gibt das BMWK per Presseaussendung bekannt. Sie wurde am 20. März 2022 ausgerufen.

Rechtliche Konsequenzen

Auf der Frühwarnstufe stellen die Gasversorgungsunternehmen die Versorgung mit Erdgas durch marktwirtschaftliche Maßnahmen sicher. Die Netzbetreiber müssen mind. einmal täglich eine schriftliche Meldung über die Versorgungslage an die BNetzA erstatten. Zudem müssen sie das BMWK bei der Lagebeurteilung umfassend unterstützen und den behördlichen Krisenstab aktiv begleiten.

Marktbezogene Maßnahmen sind:

  • Die Gasversorger können Flexibilitäten bei der Beschaffung nutzen. Dazu gehört, Flexibilitäten im Importbereich zu nutzen, ebenso wie von ihnen gebuchte Gasspeichermengen.
  • Die Netzbetreiber können die Pufferungsmöglichkeiten in den Netzen des Marktgebiets nutzen, um kurzfristige Schwankungen in der Systembilanz auszugleichen.
  • Optimierung innerhalb der Netze und mit den anderen Netzbetreibern im Marktgebiet, um die vorhandenen Transportkapazitäten maximal auszunutzen.
  • Der Marktgebietsverantwortliche kann zum Ausgleich von Defiziten in der Marktgebietsbilanz, die durch unzureichende Einspeisung entstehen, Mengen an den freien Märkten zukaufen.
  • Der Marktgebietsverantwortliche darf langfristige Regelenergieprodukte (z.B. Long Term Options („LTO„), Short Term Balancing Services („STB„)) einsetzen.

Alarmstufe

Voraussetzungen für das Ausrufen der Alarmstufe

Die Alarmstufe wird bei einem oder mehrerem der folgenden Indikatoren festgelegt:

  • Ausfall/starke Reduzierung der Gasflüsse an wichtigen Einspeisepunkten
  • Kontinuierlich sehr niedrige Speicherstände
  • Versagen wichtiger Versorgungsquellen
  • Anhaltender technischer Ausfall wichtiger Infrastrukturen (z.B. Pipelines und/oder Verdichterstationen) mit der Möglichkeit einer alternativen Versorgung
  • Extreme Wetterbedingungen in Verbindung mit einer sehr hohen Nachfrage
  • Hohes Risiko einer langfristigen Unterversorgung
  • Nachfrage nach Hilfsgaslieferungen durch andere EU-Mitgliedstaaten

Das BMWK gibt die Alarmstufe per Presseaussendung bekannt. Sie wurde am 23. Juni 2022 ausgerufen.

Rechtliche Konsequenzen

Die daraus resultiereden Rechtsfolgen sind die gleichen wie bei der Frühwarnstufe. Gasversorgungsunternehmen stellen weiterhin anhand marktbasierter Maßnahmen nach Kap. 7 des Notfallplans die Gasversorgung sicher. Ein direktes staatliches Eingreifen ist nicht vorgesehen.

Notfallstufe

Voraussetzungen für die Festlegung der Notfallstufe

Wenn die Maßnahmen der Frühwarn- oder Alarmstufe nicht ausreichen oder sich die Gasversorgungssituation dauerhaft verschlechtert, kann die Bundesregierung durch Rechtsverordnung die Alarmstufe ausrufen. Die Voraussetzungen dafür sind :

  • Langfristig ist mit weiteren massiven Versorgungsengpässen zu rechnen, ohne dass ausreichende Möglichkeiten für eine alternative Versorgung bestehen.
  • Marktwirtschaftliche Maßnahmen der Netzbetreiber reichenfür die Systemstabilität nicht mehr aus.
  • Regelenergie ist immer wieder nicht ausreichend am Markt verfügbar und kann nicht kurzfristig beschafft werden oder der Regelenergiehandel ist ausgesetzt.
  • Das zuständige Handelsgebiet (d.h. Trading Hub Europe, „THE„) bestimmt in Abstimmung mit den Netzbetreibern für sein Handelsgebiet die Ausschöpfung aller marktbasierten Maßnahmen.
  • Verschlechterung der Gasversorgungssituation, so dass die Versorgung der geschützten Kunden (wie unten definiert) sowie wesentliche Lebensbedürfnisse gefährdet sind.
  • Technisches Problem: Ausfall wichtiger Pipelines und/oder Verdichteranlagen ohne Möglichkeit einer schnellen Ersatzversorgung (Notfall).

Die Bundesregierung legt die Dringlichkeitsstufe fest und veröffentlicht diese im Bundesgesetzblatt. Außerdem gibt das BMWK eine Presseerklärung heraus. Deutschland befindet sich noch nicht in der Notfallstufe, d.h. die unten aufgeführten hoheitlichen Maßnahmen sind noch nicht anwendbar. Allerdings könnte sich das in den nächsten Wochen ändern.

Rechtliche Konsequenzen

Auf der Notfallstufe können neben marktwirtschaftlichen Maßnahmen der Netzbetreiber und Gaslieferanten auch hoheitliche Maßnahmen nach EnSiG und GasSV durchgesetzt werden.

Welche hoheitlichen Maßnahmen könnte die BNetzA ergreifen?

  • Anordnung einer erhöhten GasspeicherungRegelung der Substitution von Erdgas durch Erdöl
  • Regelung der Substitution von Erdgas durch andere Brennstoffe
  • Bestellung der Nutzung von Strom, der nicht mit Gas erzeugt wird
  • Regelung der Beschränkung der Stromerzeugung in Gaskraftwerken
  • Auftrag zur Erhöhung der Erdgasproduktion
  • Verordnung über die Beheizung von öffentlichen Gebäuden
  • Aufforderung an die Endverbraucher, den Verbrauch von Erdgas zu reduzieren
  • Aufforderung an Großverbraucher, den Gasverbrauch zu senken
  • Anordnung zur Abschaltung von Industriekunden von der Gasversorgung
  • Auftrag zur Verwendung alternativer Brennstofflagerbestände
  • Anordnung zur Beschränkung der grenzüberschreitenden Gasflüsse (in Übereinstimmung mit den Anforderungen von Art. 10 Abs. 4 und Art. 11 Abs. 6 SoS-VO)
  • Preisanpassung bei reduzierten Gasimporten (§ 24 EnSiG)
  • Saldiertes Recht zur Preisanpassung (§ 26 EnSiG): Mechanismus, mit dem die Mehrkosten einer Ersatzbeschaffung infolge reduzierter Gasimporte gleichmäßig auf alle Gaskunden verteilt werden können.

Die Liste ist nicht abschließend. Die BNetzA kann sie je nach Notfallsituation um einzelne hoheitliche Maßnahmen erweitern.

Ansatz der BNetzA

Die BNetzA muss als Bundeslastverteiler bei der Anordnung hoheitlicher Maßnahmen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten.

Der Gasnotfallplan sieht ausdrücklich vor: Alle anzuordnenden hoheitlichen Maßnahmen müssen mit „bestmöglicher Effizienz“ erfolgen und „unnötige Belastungen“ sind zu vermeiden.

Um festzustellen, welche Unternehmen von hoheitlichen Maßnahmen,z.B. einer Gassperrung, besonders betroffen wären, sammelt die BNetzA vorsorglich Daten – falls .die Notfallstufe ausgerufen wird. In einer Stellungnahme vom 17. Mai 2022 wies die BNetzA darauf hin: Sie wird nur solange auf Allgemeinverfügungen zurückgreifen, wie sie nicht über ausreichende Daten verfügt.

Die ersten Datenerhebungen fanden im April und Mai 2022 statt. Die Netzbetreiber erhielten eine Aufforderung, an der Erhebung teilzunehmen. Daraufhin fand eine Befragung der Gasverbraucher statt mit einer technischen Anschlussleistung von mindestens 10 MWh/h im Marktgebiet.

Die Erhebungskriterien kann man Anlage 1 der Allgemeinverfügung der BNetzA vom 2. Mai 2022 entnehmen. Diese nennt v.a. folgende Kriterien:

  • Möglichkeit der Ersatzversorgung
  • Informationen zur Kapazität/Leistung am Standort
  • Informationen über die Kosten einer Gasunterbrechung
  • Lieferung an geschützte Kunden

Um die Datenmenge überschaubar zu machen und v.a. aktuell zu halten, wird mit der Gassicherheitsplattform ab Oktober 2022 ein weiterer Schritt unternommen. Industrie- und Gewerbekunden mit einer technischen Anschlussleistung von mind. 10 MWh müssen sich auf der Plattform registrieren (s. Link).

Auf Basis des neu novellierten EnSiG soll eine weitere digitale Plattform für Gas eingerichtet werden. Diese soll künftig die Gasversorgung im Krisenfall sicherstellen. In einer nationalen Notsituation sollen auf der Plattform Gasmengen in einem effizienten und digitalen Verfahren angeboten und zugeteilt werden.

Privilegierte Gruppe von geschützten Kunden

Bestimmte Verbrauchergruppen, die sog. geschützten Kunden, sollen auch bei einer teilweisen Unterbrechung der Gasversorgung oder bei außergewöhnlich hohem Gasbedarf vorrangig mit Gas versorgt werden.

Geschützte Kunden sind:

  • Alle Endverbraucher mit überwiegendem Eigenverbrauch in privaten Haushalten oder mit einem Jahresverbrauch von max. 10.000 kWh für berufliche, landwirtschaftliche oder gewerbliche Zwecke (sogenannte Haushaltskunden).
  • Alle SLP-Kunden (Anschlussleistung von maximal 500 kW; Jahresverbrauch von max. 1,5 Mio. kWh), wie Privathaushalte, Kleingewerbe und landwirtschaftliche Betriebe, Supermärkte, kleine Krankenhäuser sowie Kindergärten, Schulen und Altenheime.
  • RLM-Kunden, wenn sie dem Bereich der sozialen Grundversorgung angehören. Dazu gehören Krankenhäuser und Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen, stationäre Pflegeeinrichtungen, stationäre Hospize, Einrichtungen zur Pflege und Betreuung behinderter Menschen, Justizvollzugsanstalten sowie z.B. Einrichtungen von Feuerwehr, Polizei und Bundeswehr (diese Kunden haben eine Anschlussleistung von mehr als 500 kW und/oder einen Jahresverbrauch von mehr als 1,5 Mio. kWh)
  • Fernwärmeanlagen, wenn sie Wärme an Haushaltskunden liefern, an ein Erdgasverteilungs- oder -übertragungsnetz angeschlossen sind und den Brennstoff nicht wechseln können. Der Schutz gilt nur für den Anteil des Gasbezugs, der zur Erfüllung der Wärmeversorgungsverpflichtung erforderlich ist.
Kritische Infrastrukturen

Die BNetzA prüft auch, ob die Zugehörigkeit eines Unternehmens zu den sog. „Kritischen Infrastrukturen“ nach § 2 Abs. 10 des Gesetzes über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI-Gesetz) und der Verordnung zur Bestimmung Kritischer Infrastrukturen nach dem BSI-Gesetz zur Abgrenzung von nicht geschützten Endverbrauchern herangezogen werden sollte.

Kritische Infrastrukturen i.S.d.BI-Gesetzes sind Einrichtungen, Anlagen oder Teile davon, die

  • zu den Sektoren Energie, Informationstechnologie und Telekommunikation, Transport und Verkehr, Gesundheit, Wasser, Ernährung, Finanzen und Versicherungen sowie kommunale Abfallentsorgung gehören und
  •  für das Funktionieren des Gemeinwesens von großer Bedeutung sind, weil ihr Ausfall oder ihre Beeinträchtigung zu erheblichen Versorgungsengpässen oder zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit führen würde.

Allerdings ist noch offen, ob die BNetzA solche Unternehmen tatsächlich bevorzugen wird. Denn sie erklärt bereits, dass sie die Definition von „kritischen Infrastrukturen“ für zu weit gefasst hält und die Relevanz von Gas in den genannten Sektoren sehr unterschiedlich ist. Sie stellte aber auch fest, dass es zumindest bundesweit keine andere vergleichbare Rechtsgrundlage gibt, anhand derer die Kritikalität von Unternehmen und Prozessen einheitlich gemessen werden könnte (s. Link).

Bemerkenswert: Das kürzlich novellierte EnSiG räumte dem BMWK die Befugnis ein, kritische Infrastrukturunternehmen im Bereich der Energieversorgung für einen begrenzten Zeitraum unter treuhänderische Verwaltung zu stellen. Als letztes geeignetes Mittel sieht die Novelle sogar die Möglichkeit der Enteignung vor (§ 29 EnSiG).

Regulierung auf EU-Ebene

Am 26. Juli 2022 einigten sich die Mitgliedstaaten im Rat darauf, sich (freiwillig) nach besten Kräften zu bemühen, ihren Gasbedarf zwischen dem 1. August 2022 und dem 31. März 2023 durch Maßnahmen ihrer Wahl um 15 Prozent im Vergleich zu ihrem Durchschnittsverbrauch der letzten fünf Jahre zu senken (Art. 3 Gasbedarfsverordnung).

Dies soll mithilfe einer Verordnung des Rates über koordinierte Maßnahmen zur Senkung der Gasnachfrage („Gasnachfrage-Verordnung„) und einen Europäischen Plan zur Senkung der Gasnachfrage („EU-Gas-Notfallplan„) erfolgen.

Die wesentlichen Regelungen auf EU-Ebene finden Sie in unserem Download.

Author

Claire Dietz-Polte ist Partner bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern

Author

Jasmin Mayerl ist Associate bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern